23. Juli 2024
Charity-Radtour für Kinder mit Rheuma: Von der Ostsee in die Alpen
Von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen – fast 1.360 km hat Phil Oliver Ladehof für seine Charity-Radtour „Von der Ostsee in die Alpen“ mit dem Fahrrad zurückgelegt. Ziel der Tour war das Deutsche Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie in Garmisch-Partenkirchen. In dieser Klinik war Phil, der mit 16 Jahren die Diagnose juvenile idiopathische Arthritis, also Kinder- und Jugendrheuma, erhielt, selbst viele Male als Patient. So kommen auch die Spenden der Charity-Radtour der Klinik zugute. Phil Oliver Ladehof schafft mit seiner Aktion darüber hinaus Aufmerksamkeit für rheumatische Erkrankungen und zeigt, dass es auch mit Rheuma möglich ist, außergewöhnliche sportliche Leistungen zu verwirklichen. Im Interview berichtet Phil von seiner Tour und den Herausforderungen, die Rheuma mit sich bringen kann.
Interview mit Phil Oliver Ladehof: Aktiv über Rheuma aufklären
„Von der Ostsee in die Alpen“ ist bereits Deine zweite Radtour für den guten Zweck. Welches Ziel steht für Dich bei der Aktion besonders im Fokus?
Phil: Ich möchte dreierlei Dinge erreichen. Mein größtes Ziel ist es, jungen Menschen zu zeigen, dass man auch mit einer chronischen rheumatischen Erkrankung sportliche Leistungen erbringen kann, bei denen selbst gesunde Personen sagen: „Das würde ich niemals schaffen.“
Darüber hinaus möchte ich die mediale Aufmerksamkeit der Tour nutzen, um dem Irrglauben, dass Rheuma nur alte Menschen haben, entgegenzuwirken. Im Deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie habe ich eine Vielzahl an Kindern und Jugendlichen kennengelernt, die ebenfalls eine rheumatische Erkrankung haben – einige bereits seit ihrem ersten Lebensjahr. Laut der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) sind etwa 40.000 Kinder und Jugendliche von einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis betroffen. Zudem gibt es nicht „das Rheuma“, sondern eine Vielzahl von ähnlichen Krankheitsbildern, die unter dem Oberbegriff zusammengefasst werden.
Zu guter Letzt spiegelt der Name der Tour die Strecke wider, welche ich für jede stationäre Behandlung im Deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie in Garmisch-Partenkirchen zurückgelegt habe. Bei dem Projekt „Von der Ostsee in die Alpen“ handelt es sich um eine Spendenaktion, um Therapien im Deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie in Garmisch-Partenkirchen zu ermöglichen, die gar nicht oder nur zum Teil von den Krankenkassen übernommen werden. In diesem Jahr ging ein großer Teil der Spendensumme zur allgemeinen Verwendung an die physikalische Therapie innerhalb der Klinik.
Welche Bedeutung hat das Deutsche Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie in Garmisch-Partenkirchen für Dich?
Phil: Für jede stationäre Behandlung ging es für mich aus meiner Heimatstadt Flensburg in das knapp 1.000 Kilometer entfernte Garmisch-Partenkirchen. Im ersten Moment erscheint diese Wegstrecke wahnsinnig und unverhältnismäßig. Während meiner ersten Anreise habe ich mir nahezu durchgehend die Frage gestellt, wie sinnvoll der Aufwand ist, den mein Vater und ich in dem Moment auf uns nahmen.
Bereits zwei Wochen später wusste ich, dass dieser Aufwand sich gelohnt hatte, da ich gesundheitlich massive Erfolge und Fortschritte verzeichnete. In den Folgejahren reiste ich über zwanzigmal in den Süden, um nach jedem weiteren Rückschlag wieder neue Fortschritte zu erzielen. Zusammengerechnet habe ich etwa ein Jahr in dieser Klinik verbracht. Dementsprechend viele Emotionen, Gefühle und Eindrücke verbinde ich mit ihr. Für mich ist die Klinik vor allem ein Ort, an dem ich erwachsen und eigenständig geworden bin. Sie ist ein Ort, an dem ich den ein oder anderen Rückschlag erleben musste, aber eben auch meinen Lebensmut wiederfand. Eine Vielzahl meiner engsten Freunde und Freundinnen lernte ich in dieser Klinik kennen und schätzen. Meine Therapeutinnen, Therapeuten und ich erreichten immer weitere Fortschritte.
Was ist die wichtigste Botschaft Deiner Charity-Radtour?
Phil: Eine rheumatische Erkrankung kann jede Person treffen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Religion. Wir als Gesellschaft sollten aufhören, solche Personen auszugrenzen, ihre Diagnosen öffentlich zu hinterfragen oder hinter ihrem Rücken über die unrunden Bewegungsabläufe zu reden.
Meine Botschaft an alle Betroffenen ist, dass sie an ihren Wünschen, Träumen und Lebenszielen festhalten sollten. Die Diagnose kann belastend sein und einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Umso wichtiger ist es, Dinge zu haben, aus denen man Kraft schöpfen kann. Dinge, die die Krankheit für einen kurzen Augenblick vergessen lassen.
Haben sich Deine Ziele durch die Erkrankung geändert?
Phil: Manchmal ändert sich zwangsläufig auch ein Lebensziel durch die Erkrankung. Von einem ambitionierten Fußballspieler wurde ich zu einem engagierten Trainer im Kinder- und Jugendbereich. Die Passion für den Fußball blieb bestehen – lediglich die Ausrichtung änderte sich. Bei mir ist es der Fußball, der mich bis heute zu jeder Therapie- oder Trainingseinheit motiviert. Immer wieder an sein Maximum gehen, um eines Tages wieder auf dem Trainingsplatz zu stehen und den anderen Spielern ein Vorbild zu sein.
Hast Du selbst schon Ausgrenzung wegen Deines Rheumas erlebt?
Phil: Im Sommer 2015 wurde ich dreimal an meinem rechten Knie operiert. Eine der OP-Narben reicht von meinem Oberschenkel übers Knie bis hin zu meinem Unterschenkel. Zwei Wochen nach meiner Operation zog ich mit Krücken und dem operierten Knie alle Blicke im Sommerurlaub auf mich. Immer wieder hörte ich es hinter mir tuscheln: „Der hat sicher ein künstliches Knie bekommen“ oder „Das passiert bei diesen waghalsigen Mutproben aus dem Internet“ waren nur einige der Kommentare. Für mich war der Sommer 2015 eine der schwersten Zeiten meines Lebens, da ich nach den besagten Knieoperationen erfuhr, dass ich meine Fußballschuhe an den Nagel hängen müsste. Letztlich sorgten diese Kommentare dafür, dass ich nur noch dann rausging, wenn ich mir sicher sein konnte, keine tuschelnden Leute anzutreffen.
Mehr als 1.300 km mit dem Rad – wie lässt sich diese sportliche Leistung mit dem Rheuma vereinen und welche Bedeutung hat Sport im Zusammenhang mit Rheuma?
Phil: Für mich persönlich macht es nur einen geringen Unterschied, ob ich eine solche Radtour mit oder ohne rheumatische Erkrankung absolviere. In erster Linie sollte die sporttreibende Person ihren Körper kennen und wissen, wo ihr Belastungsmaximum ist. Sie sollte wissen, welche Regenerationszeiten notwendig sind, und sich mit ihrem Vorhaben nicht zu sehr stressen. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren habe ich meine beiden Touren geplant und sie letztlich auch erfolgreich absolvieren können.
Bisher wurde mir von einem Großteil des medizinischen Personals, welches mich betreut hat, zu Sport geraten. Es muss individuell geschaut werden, welche Sportarten sich eignen. Die Expertinnen und Experten raten meist von einer (Über-)Belastung entzündeter Gelenke ab, gelenkschonende Sportarten wie Radfahren oder Schwimmen werden jedoch meistens empfohlen. Der Sport sorgt dafür, die Kraft, Fitness und Beweglichkeit beizubehalten. Darüber hinaus kann es einen positiven Einfluss auf die mentale Gesundheit haben, wenn man Sport macht.
Die Charity-Radtour ist nur eine Deiner Aktivitäten – wie und wo engagierst Du Dich sonst noch für Aufklärung und Information über Rheuma?
Phil: Die Aufklärung über Rheuma ist für mich eine äußerst wichtige Angelegenheit, da sie mit einem besseren Verständnis auch zu einer schnelleren Diagnose beitragen kann. Eine frühzeitige Diagnose hätte mir drei Operationen und eine Vielzahl an Therapiestunden ersparen können.
Um meinen Beitrag zu diesem verbesserten Verständnis zu leisten, habe ich 2019 den Instagram-Account @rheuma_phil ins Leben gerufen, auf dem ich einen Einblick in mein Leben mit Rheuma gebe. Ich möchte zeigen, dass eine rheumatische Erkrankung keinesfalls die Lebensenergie rauben sollte, sondern Antrieb sein kann, die superguten Momente doppelt und dreifach zu schätzen.
Durch die positive Resonanz auf Instagram habe ich im Frühjahr 2022 gemeinsam mit meinen behandelnden Ärzten und Therapeuten ein Buch geschrieben. In „Fokus – auf Dich, Deinen Körper und Deine Ziele“ geht es um meine Erfahrungen, aber auch die medizinischen Komponenten der Erkrankung.
Im Herbst 2023 wurde ich zum Patientenbotschafter für die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR), in dessen Funktion ich auf Kongressen präsent bin und die Patientenposition repräsentieren darf. Zusätzlich bin ich als Trendscout für das Netzwerk Autoimmunerkrankter e. V. aktiv, berichte multimedial (Podcast, TV, Zeitung und Radio) über meine Erfahrungen und als Dozent über diverse Themen rund um rheumatische Erkrankungen.