11. Januar 2023

Interview mit Evelin Schulz: Morbus Bechterew und Selbsthilfe

Evelin Schulz

Evelin Schulz ist Geschäftsführerin der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e. V. (DVMB), dem Netzwerk zur Selbsthilfe für Menschen mit Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) oder verwandten entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen (Spondyloarthritiden). Der wissenschaftliche Begriff für diese Erkrankungen ist axiale Spondyloarthritis.* In Deutschland leben etwa 450.000 Menschen mit entzündlich-rheumatischen Wirbelsäulenerkrankungen. Die DVMB bietet Betroffenen vielseitige Unterstützung im Leben mit Morbus Bechterew und ist eine wichtige Anlaufstelle. Im Interview erläutert Evelin Schulz, welchen Stellenwert Austausch und Unterstützung bei chronischen Erkrankungen einnimmt und gibt einen spannenden Einblick in die Arbeit der DVMB.

Die DVMB besteht seit mehr als 42 Jahren und ist eine feste Größe bei Morbus Bechterew. Was macht Selbsthilfe so wichtig und was gehört für Sie dazu?

Evelin Schulz: In der Selbsthilfe unterstützen sich Betroffene gegenseitig – in der DVMB sind es die Morbus-Bechterew-Erkrankten. Für sie schaffen wir Angebote und fördern die Vernetzung. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann Unsicherheiten nehmen. Zu erfahren, wie andere die Situation meistern, kann Mut machen. Ratgeber und Informationen sind bei der Auseinandersetzung mit der Erkrankung ebenfalls wichtig. Morbus Bechterew kann nicht ursächlich geheilt werden und verläuft bei jedem anders. Zu wissen, welche Möglichkeiten es gibt, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen, stärkt im Umgang mit der Erkrankung. Die DVMB steht Menschen in jeder Phase der Erkrankung zur Seite – frisch Diagnostizierten genauso wie langjährig Betroffenen.

Wie sieht das Angebot der DVMB aus und an wen richtet es sich?

Evelin Schulz: Bei der DVMB dreht sich alles um die drei Bs: Bewegung, Begegnung und Beratung. Austausch und Vernetzung bieten u. a. die örtlichen Gruppen der DVMB – 350 sind es in ganz Deutschland. Wir haben viele Präsenz- und Online-Seminare, etwa zu Basiswissen, aber auch zu Ernährung oder Bewegung, sowie Workshops und Stammtische. Bei der Bewegung stechen vor allem das Funktionstraining und der Rehasport heraus, also Bewegungsangebote, die speziell auf Menschen mit Morbus Bechterew zugeschnitten sind. Broschüren, aber auch die individuelle Beratung am Telefon oder per Mail sind ebenfalls fester Bestandteil des Angebots. Entscheidend ist jedoch, dass sich jeder mit Morbus Bechterew, ob jung oder alt, ob Mann, Frau oder divers, gut in der DVMB aufgehoben fühlt. So sind z. B. auch das FrauenNetzWerk und das netzwerk junge bechterewler Teil unserer Organisation.

Worin sehen Sie die besondere Stärke des Erfahrungsaustauschs unter Betroffenen?

Evelin Schulz: Um die Krankheit zu beeinflussen, wird als Erstes auf den Experten, also den Rheumatologen gehört. Wer selbst von Morbus Bechterew betroffen ist, entwickelt sich jedoch auch zum Experten für seine Krankheit. Von dieser Erfahrung können andere Betroffene profitieren. Über die konkrete Hilfe und Wissensvermittlung hinaus gibt der Austausch das Gefühl, verstanden zu werden und mit der Situation nicht allein zu sein. Das gibt Kraft im Leben mit der Erkrankung.

Was sind wichtige Themen, mit denen sich Menschen mit Morbus Bechterew auseinandersetzen sollten, und wie unterstützt die DVMB dabei?

Evelin Schulz: Morbus Bechterew beeinflusst viele Lebensbereiche, aber Betroffene sollten sich auch bewusst machen, dass sie selbst auf ganz unterschiedliche Weise die Erkrankung positiv beeinflussen können. An erster Stelle stehen die Möglichkeiten der medikamentösen Therapie. Die Aufklärung dazu übernimmt der Facharzt. Wichtig ist jedoch auch, mit der psychischen Belastung umzugehen. Dabei unterstützt z. B. unser Seminar zur Selbstwirksamkeit. Die Ernährung kann den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen, dazu klärt die DVMB u. a. in Broschüren und auch mit dem Seminar „Ernährung und Bewegung“ auf. In Arbeit und Beruf gibt es häufig Hürden oder Unsicherheiten, zu denen wir beraten können. Auch Kinderwunsch und Schwangerschaft ist ein Thema, dass viele Frauen mit Morbus Bechterew beschäftigt und bei dem der Erfahrungsaustausch wertvoll ist. Das Gleiche gilt für den Umgang mit der Erkrankung in der Partnerschaft, der Familie oder im Freundeskreis.

Was gibt es Neues in der DVMB und worauf können sich Mitglieder und Interessierte 2023 freuen?

Evelin Schulz: Wir haben gerade die Corona-Pandemie mit zahlreichen Herausforderungen für unsere Arbeit hinter uns gelassen und aus dieser Zeit auch einiges mitgenommen. Bewegungsangebote und auch die persönliche Begegnung sind wieder möglich. Wir freuen uns ebenfalls, wieder Präsenzveranstaltungen anzubieten. Der persönliche Austausch steht bei der DVMB nach wie vor im Mittelpunkt, ergänzend haben wir jedoch das digitale Angebot ausgebaut, um noch mehr Menschen zu erreichen und ihnen den Zugang zu ermöglichen. Dazu gehören z. B. Instagram, Hybridveranstaltungen sowie die Online-Reihen zu Schwangerschaft und Elternsein oder Ernährung.

Ganz neu sind auch die Patientenfilme auf unserem YouTube-Kanal. Dort erzählen Betroffene ihre Geschichte und machen Mut, wenn es etwa um besondere Sportarten oder auch den Kinderwunsch geht. Gespannt sein können alle auf die Kurze Nacht des Morbus Bechterew im Juni und auch auf die Aktionen rund um den Welt-Rheuma-Tag im Oktober – unser Terminkalender verrät mehr dazu.

Als Patientenorganisation ist die DVMB ein wichtiger Teil des Gesundheitswesens. Mit dem enormen ehrenamtlichen Engagement der Betroffenen und starken Partnern – Ärzten, Förderern und Netzwerkpartnern – sind wir für 2023 und die weitere Zukunft gut aufgestellt.

Vielen Dank für das Gespräch!

* Axiale Spondyloarthritis ist ein medizinischer Fachbegriff, der 2009 eingeführt wurde, um eine vielfältige Krankheitsfamilie zu beschreiben, die viele klinische und genetische Merkmale teilt. Umgangssprachlich werden diese Erkrankungen weiter als Morbus Bechterew bezeichnet, daher auch in diesem Interview.

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