22. Juli 2024
Interview: Unterstützung und Begleitung bei Blutkrebs
Margit Geis ist Onko-Coach und arbeitet in der hämatoonkologischen Schwerpunktpraxis am Klinikum Aschaffenburg. Zu ihrem Aufgabenbereich gehört die Beratung und Betreuung von Menschen mit Blutkrebs und deren Angehörigen. Dadurch ist sie mit den Herausforderungen vertraut, die eine Diagnose Blutkrebs wie chronische lymphatische Leukämie (CLL) oder akute myeloische Leukämie (AML) mit sich bringt. An ihrer Arbeit schätzt sie vor allem den engen Kontakt mit den Patient*innen und zu sehen, dass sie mit ihrer Tätigkeit zum Therapieerfolg beitragen kann. Im Interview erläutert Margit Geis, welche Unterstützung für Betroffene möglich ist und was im Umgang mit der Erkrankung helfen kann.
Die Diagnose Blutkrebs ist für Betroffene eine echte Herausforderung – wie können Sie als Onko-Coach Patient*innen unterstützen?
Margit Geis: Wird eine Behandlung geplant, begleiten wir die Patient*innen von Anfang an. Dazu gehört das Organisatorische, z. B. Rezepte ausstellen, und zu Beginn vor allem das Therapievorgespräch. Häufig startet die Therapie bei Blutkrebserkrankungen zeitnah nach der Diagnose und wir sehen zu, dass wir das Gespräch kurz vor Therapiebeginn legen. Im Gespräch wird dann der genaue Ablauf der Therapie erklärt oder auch, was z. B. in der Tagesklinik passiert, und wir übergeben eine Mappe mit den wichtigsten Informationen zum Nachlesen.
Beim Therapievorgespräch sind auch Begleitpersonen willkommen, z. B. Angehörige. Oft sind das viele Informationen auf einmal und gemeinsam kann es einfacher sein, an alle Fragen zu denken. Bei oralen Therapien, die zu Hause durchgeführt werden, erhalten die Patient*innen einen detaillierten Medikamentenplan. Dort ist vermerkt, welche Tabletten jeden Tag genommen werden müssen, und die Einnahme kann abgehakt werden. Wir klären auch über mögliche Nebenwirkungen auf, damit die Patient*innen genau wissen, bei welchen Anzeichen sie sich z. B. sofort melden müssen und bei welchen es am nächsten Tag ausreichend ist oder bestimmte Medikamente genommen werden müssen.
Beim Gespräch schauen wir sehr genau darauf, was individuell gebraucht wird. Wenn jemand noch im Arbeitsleben ist, ist es z. B. wichtig, eine lückenlose Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu haben. Auch eine psychoonkologische Betreuung wird angeboten. Andere Themen wie Rentenanträge oder eine Empfehlung für eine Sozialberatung können dann zu einem späteren Zeitpunkt angesprochen werden.
Für viele Patient*innen ist das eine ganz neue Situation, mit der sie erst einmal klarkommen müssen. Wir können mit dem Therapievorgespräch dabei unterstützen und begleiten dann individuell weiter in den unterschiedlichen Phasen während der Behandlung.
Was sind besondere Situationen während einer Blutkrebserkrankung bzw. während der Therapie, bei denen Betroffene Unterstützung benötigen?
Margit Geis: Während einer Therapie können z. B. auch Bedenken oder Zweifel aufkommen. Wir erleben es etwa, dass Patient*innen unsicher sind, ob sie eine Therapie weiterführen möchten. Wir haben dann die Möglichkeit, Mut zu machen und gemeinsam darauf zu schauen, was schon erreicht wurde. Dazu können wir z. B. das Blutbild vor und während der Therapie vergleichen. Das zeigt häufig sehr gut, dass sich bereits ein Therapiefortschritt eingestellt hat.
Oder wir versuchen herauszufinden, was im Moment das größte Problem darstellt, um eine Lösung zu finden. Das hängt womöglich gar nicht mit der Therapie zusammen. Vielleicht kostet es gerade viel Kraft, dass der Partner oder die Partnerin zu Hause krank ist und auch auf Hilfe angewiesen. Wir versuchen dann gemeinsam eine Lösung zu finden bzw. den Impuls zu geben, wie Unterstützung organisiert werden kann. Auch zu reflektieren, was in ähnlichen Situationen schon geholfen hat, kann dann nützlich sein.
Welche Rolle spielen Angehörige bei der Begleitung von Menschen mit einer Blutkrebserkrankung?
Margit Geis: Familie, Partner*in oder der Freundeskreis sind ein sehr wichtiger Faktor. Sie sind die Menschen, die den Patient*innen am nächsten stehen und sie am besten kennen. Gerade in dieser Situation können sich Angehörige jedoch auch überfordert fühlen. Wir schauen dann häufig gemeinsam darauf, wer welche Ressourcen abrufen kann oder wer aus dem Umfeld noch zur Unterstützung eingebunden werden kann.
Da ist es dann auch wichtig zu sehen, wie die Kommunikation funktioniert. Oft möchten Betroffene ihr nahes Umfeld schützen, indem sie nicht zeigen, dass sie traurig sind, oder auch umgekehrt. Wir können dann häufig vermitteln und bewusst machen, dass eine offene Kommunikation wichtig ist. Hilfreich kann es sein, sich klarzumachen, was in dieser Situation gewünscht ist und was nicht, und das auch anzusprechen. Es darf auch ausgesprochen werden, was man nicht möchte, und es ist in Ordnung, sich auch einmal schlecht zu fühlen und das zu zeigen.
Welche Möglichkeiten haben Patient*innen, selbst aktiv zu werden und positive Impulse in Bezug auf die Therapie, aber auch auf das allgemeine Wohlbefinden zu setzen?
Margit Geis: Die Selbstwirksamkeit wird häufig unterschätzt, spielt aber eine große Rolle für den Therapieerfolg. Wir versuchen z. B. bewusst zu machen, welche Strategien in anderen schwierigen Situationen im Leben geholfen haben. Darüber hinaus versuchen wir Patient*innen zu motivieren, sich kleine Ziele zu setzen, um etwas zu schaffen, worauf sie sich freuen können. Neulich kam z. B. eine Patientin zur Nachsorge und erzählte, dass sie jetzt einen Tauchkurs anfängt – trotz aller Widerstände durch die Erkrankung und auch aus ihrem Umfeld. Das ist toll zu sehen, wenn Betroffene nach einem Therapieerfolg etwas für sich tun, das ihnen Freude bereitet.
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die unterstützend helfen können. Sport oder Bewegung in den Alltag einzubinden ist z. B. ein wichtiger Punkt – ganz unabhängig vom Alter und von der persönlichen Verfassung. Dabei geht es natürlich nicht um Leistungssport. Auch ein wenig Bewegung kann schon viel bewirken: fünf Minuten spazieren gehen oder einfache Yoga-Übungen. Auch auf die Ernährung kann geschaut werden. Welche Möglichkeiten gibt es z. B. bei Appetitlosigkeit oder was kann bei Gewichtsabnahme unternommen werden? Es kann durchaus gelingen, wieder ein wenig Freude am Essen zu bekommen. Insgesamt kommt es immer darauf an, wo jemand persönlich steht und wie die individuellen Bedürfnisse sind.
Welche Anlaufstellen gibt es für Blutkrebsbetroffene, um – neben der ärztlichen Betreuung – Unterstützung, Information oder Beratung zu erhalten?
Margit Geis: Im Bereich Leukämie und Lymphome gibt es viele Selbsthilfegruppen, auch kleinere Initiativen vor Ort, die eine gute Anlaufstelle sind und den persönlichen Austausch ermöglichen. Darauf weisen wir unsere Patient*innen hin. Bei speziellen Themen, wenn es etwa um die Arbeit oder verwaltungstechnische Probleme geht, können Sozialverbände kontaktiert werden. Auch Krebsberatungsstellen sind gut aufgestellt. Zudem kann man sich im Internet informieren, z. B. bei der Deutschen Leukämie- & Lymphom-Hilfe e. V. Dort werden Informationen zu vielen Themen angeboten, auf die nach Bedarf zugegriffen werden kann.
Vielen Dank für das Gespräch!