Ausgabe 12

Aufgeben kommt nicht in Frage

Der Drumstick fliegt und bleibt zwischen Zeige- und Mittelfinger hängen. „1 und 2 und 3 und 4“, zählt Klaus Hesse. Ein relaxter Bum-Tschak ertönt, der in einen schnellen Beat mit wummerndem Bass wechselt. Klingt wie das Schlagzeug am Anfang des 80er-Songs „Sunday Bloody Sunday“ von U2. Rücken gerade, Arme eng am Körper, so sitzt der Hobbymusiker am Set. Und macht, was er liebt wie das Leben: trommeln. Diese Leidenschaft hätte er vor ein paar Jahren fast aufgeben müssen. Hesse erkrankt erst an Psoriasis, dann kommt Psoriasis-Arthritis hinzu. Auf großen Flächen reißt die Haut auf und an Armen, Händen, Füßen entzünden sich Gelenke. Auftritte wollte Hesse nicht mehr spielen, Drumsticks halten konnte er nicht mehr.

Klaus an seinem Lieblingsplatz. Trotz Psoriasis-Arthritis kann er noch Schlagzeug spielen.
Seit über 40 Jahren ist Klaus Hesse leidenschaftlicher Schlagzeuger.

Der Schock

An den Moment der Wahrheit erinnert sich der Mann mit den freundlichen Augen, den grauen Haaren und der randlosen Brille genau. Es ist ein lauer Abend in Frankfurt. Mit einer seiner drei Bands steht ein Gig vor ein paar Hundert Leuten an. Doch Hesse leidet. Rote Stellen und Schuppen zeigen sich auf der Stirn und an den Augen. Er trägt eine kurze Hose, unter der verschorfte Beine hervorlugen. Ständig muss er kratzen, er fühlt sich müde und spürt Angst, auf der Bühne zu versagen. Da sagt ein Bandkollege, der die Krankheit kennt: „Du hast Schuppenflechte. Du hast, glaube ich, ein echtes Problem.“

Die beiden stehen auf einem Parkplatz in der untergehenden Sonne und Hesse wird klar: Monatelang hat er Signale wie schmerzende Hautrisse, heftigen Juckreiz und Mattheit registriert, aber verdrängt. Er hat sich zunächst keinen ärztlichen Rat geholt. Krank sein, das kam für den gelernten Schlosser und selbstbewussten Musiker, der seinen Körper stets perfekt unter Kontrolle hatte, einfach nicht infrage. „Vielleicht hatte ich Panik vor der Realität“, sagt der Mann, der unter Freunden als Bühnenjunkie und begnadeter Tüftler gilt. Hesse ist gerade 45 Jahre alt geworden, als er sich dermatologisch behandeln lässt; eine Zeit lang äußerlich mit Salben, Lotionen und Licht. Doch nichts davon hilft wirklich.

Der Tiefpunkt

Schließlich wird er an die Dermatologische Klinik der Universität Frankfurt überwiesen. Eine erste Therapie, die die Entzündung hemmen soll, folgt. „Doch von diesem Medikament habe ich Depressionen bekommen“, sagt Hesse offen, der das Mittel sofort absetzt. Aber mittlerweile sind morgens Finger, Ellbogen und Füße dick geschwollen. Das Einsteigen ins Auto fällt schwer. Die Arbeiten am alten Reihenhaus mit großem Garten im südhessischen Babenhausen, das er mit seiner Frau Sabine liebevoll aus- und umbaut, schafft er kaum noch. Und das Schlagzeugspielen wird zur Tortur, weil die Finger steif sind und schmerzen.

Knapp drei Jahre nach Ausbruch der Schuppenflechte erhält Hesse die Diagnose, dass er auch an Psoriasis-Arthritis leidet. Jetzt glaubt er, alles zu verlieren: die Bühne als Drummer, die Kraft, sein Zuhause zu gestalten, und den Kontakt zu Menschen, weil er sich mit Schuppen im Gesicht und schmerzenden Gliedern mehr und mehr zurückzieht. Doch er ist eine Kämpfernatur und will sich nicht von einer Erkrankung unterkriegen lassen. Er sucht nach Hilfe und findet sie.

Die Hilfe

An der Uniklinik Frankfurt lässt sich Klaus Hesse weiter behandeln – nun in der Rheumatologie. Er will vor allem keine Gelenkschmerzen mehr spüren. Er will unbeschwert mit dem E-Bike durch den Spessart fahren und jederzeit in seiner Werkstatt flexen, fräsen, feilen können. Er will Wimbledon-Rasen rund um den Wallnussbaum im Garten anlegen und den Proberaum für seine Drumsessions fertigstellen. Verschiedene Medikamente schlagen nicht an, erst eine systemische Therapie mit einem modernen Biologikum wirkt. Innerhalb von wenigen Wochen bessert sich das Hautbild deutlich und der Schmerz in den Gelenken wird endlich weniger.

„Ich konnte es erst gar nicht glauben“, sagt Hesse, knetet die erscheinungsfreien Hände und streicht sich über das Gesicht. Vor der erfolgreichen Therapie mit dem Biologikum sei nichts mehr selbstverständlich gewesen. Eine Katze, die darauf wartet, dass man die Dose mit dem Futter öffnet, aber es nicht schafft. Einkaufen und dabei das Bein hinterherziehen. Jahrelang keinen Liveact mehr vor jubelnden Jazz- oder Rockfans spielen, das habe ihn fertiggemacht! Auch wenn er morgens eine gewisse Steifheit in den Gelenken spüre und sie ab und zu „einfrieren“, mit dem Biologikum sei das Leben wieder fast normal geworden, meint Hesse, der weiter ambulant in der Klinik für Rheumatologie der Uni Frankfurt betreut wird.

Die Einsicht

Als Beweis intoniert er das legendäre Phil-Collins-Solo aus „In The Air Tonight“. Präzise wie ein Uhrwerk und kraftvoll haut er das Intro raus. Eine motorische Meisterleistung. Schließlich müssen Drummer vier unabhängige Bewegungsabläufe mit Händen und Füßen können. Und die körperlichen Belastungen sind mit denen eines Profisportlers vergleichbar. Um richtig gut zu bleiben, spielt der Vater eines erwachsenen Sohnes jeden Tag, manchmal eine, oft zwei oder drei Stunden.

Der eigene Proberaum hinterm Haus ist mittlerweile fertiggestellt. Weiße Wände, grauer Teppich, schwarze Boxen, PC- und Mischpult-Technik versprühen einen cleanen Look. An der Seite steht das selbst gebaute Set mit dem Logo „Hessedrums“, das er früher auch als Unikat an andere Schlagzeuger verkauft hat. Dahinter hängt ein Bild von Frank Zappa. Der US-Gitarrist gilt als Wegbereiter des Fusion-Jazz. Unerbittlich trieb er andere Musiker zu Höchstleistungen an. Hesse nickt dem lange verstorbenen Idol zu und offenbart mit dieser Geste den Anspruch an seine Musik, für die er einen funktionierenden Körper so nötig braucht wie die Luft zum Atmen.

Klaus feilt etwa sin seiner Werkstatt.
„Früher habe ich unbewusst gelebt. Heute horche ich in meinen Körper und gebe ihm, was er braucht.“

Die Träume

Dass die Psoriasis-Arthritis fortschreitet und sich Gelenke möglicherweise verformen, will Hesse unbedingt vermeiden. Daher lässt er sich regelmäßig untersuchen, hält sich an Therapievorgaben und hilft selbst mit. So stellt er fest: Viel Bewegung und eine Ernährung
mit Gemüse, zuckerarmem Obst und Hülsenfrüchten tun ihm gut. Und er hat gelernt, die Krankheit zu akzeptieren. „Ich stelle nichts mehr in Frage oder mache mir Vorwürfe, sondern lasse zu und will verstehen, wie ich am besten so schnell wie möglich reagieren kann“, meint Hesse.

Klaus mäht und pflegt seinen Rasen.
Er wird gehegt und gepflegt: Auf seinen Rasen ist Klaus Hesse besonders stolz.

Er ist mittlerweile 57 Jahre und schafft locker, was er sich vornimmt: den Job als Schaden-Koordinator bei einem Versicherer, Musiksessions mit Freunden, DIY-Projekte. „Nichts ist unmöglich“, summt Hesse und zeigt auf ein 4,5 Meter langes Schiebetor aus Holz neben dem Haus und berichtet vom Brunnenbohren und den 300 Metern Bewässerungsrohren, die er auf seinem Grundstück verlegt hat. Besonders stolz ist er auf den saftig-grünen Rasen, der wie ein Teppich aussieht. Dafür habe er 25 Tonnen Erde herangekarrt und die Fläche tagelang planiert. „Die Psoriasis-Arthritis ist zwar da, aber ich spüre sie kaum. Ich komme im Alltag absolut klar“, schiebt Hesse nach und lächelt, denn er hat noch viel vor.

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