Es passiert bei jedem Umzug. Es lässt sich weder verhindern noch wirklich aktiv beeinflussen: Eine Landschaft entsteht. Aus Kartons, Kisten, Elektrogeräten und Krimskrams. Wer die Kisten nicht selbst gepackt, die Landschaft nicht selbst erbaut hat, der sieht nichts außer Chaos. Nur Gepäck, das darauf wartet, transportiert zu werden. Die Menschen hingegen, deren Leben sich in den Kartons befindet, wissen um den Wert der Erinnerungsstücke. In ihrem Kopf ist der Plan bereits fertig, was in der neuen Welt an welchen Ort kommt.
#1 GERMAINES TIPP Ernährung
„Was ihr esst, hat großen Einfluss auf eure Haut. Versucht, Milch, Fett und Fast Food zu vermeiden. Aber nicht übertreiben. Gönnen muss sein.“
So wirkt es zumindest, während die junge Frau mit dem hellen Pullover und den dunklen Haaren die letzten Umzugskartons stapelt, sortiert und für den Auszug vorbereitet. Diese junge Frau heißt Germaine. Mit ihrem Freund Ben und ihrem kleinen Sohn Maverick wird sie in wenigen Tagen in ein neues Haus ziehen. Das Bemerkenswerte daran: Der Umzug nach Ahlen bei Münster ist nur eines von vielen Projekten in ihrem Leben. Denn Germaine ist Mutter, Influencerin, Kundenberaterin bei einem großen Internetanbieter und eine Frau, die mit Schuppenflechte lebt. Und jeden Tag gegen die chronische Krankheit kämpft, „manchmal mehr, manchmal weniger“, wie sie selbst sagt.
Germaine kommt aus Rathenow, das liegt etwa 70 Kilometer westlich von Berlin. Ein Ort in Brandenburg, in dem seit der Verleihung des Stadtrechtes 1295 im Grunde genommen nicht viel passiert ist. Das erste Mal hat die Schuppenflechte Erscheinungen auf Germaines Haut geworfen, als sie 15 war. „Super Timing war das. Mitten in die Pubertät“, blickt die heute 27-Jährige nicht ohne Ironie zurück.
#2 GERMAINES TIPP Timing
„Tabletten einzunehmen, kann echt nervig sein. Und wenn man es nicht mit Ritualen oder festen Dingen im Tag verbindet, vergisst man es auch gerne mal. Oder man fährt über das Wochenende weg und vergisst die Tabletten. Verbindet die Erinnerungen oder die Medizin am besten mit etwas, ohne das ihr nicht aus dem Haus geht: Sticker auf dem Smartphone zum Beispiel.“
Mit langen Ärmeln in die Disco
Aufwachsen mit Schuppenflechte: kein Spaß. Zwischen die Schübe von Glücksgefühlen, Liebeskummer, Rebellion und Verunsicherung mischten sich Schübe von Hautausschlägen, Jucken und anderen Beschwerden. Ausrufe wie „Germaine hat die Krätze“ gehörten zum Standardrepertoire der Schulkameraden. In die Disco ging Germaine während der Schübe ausschließlich im langärmeligen Pullover.
Germaine gehört zu den ca. 400.000 Menschen in Deutschland, die an mittlerer bis schwerer Schuppenflechte leiden. Fachbegriff: Psoriasis vulgaris. 400.000, bei denen nicht nur vereinzelt leichte Rötungen auftreten, sondern sich mitunter auf der ganzen Haut Fleckenmuster bilden und den Körper weiße Schuppen überziehen. „Am schlimmsten sind für mich die Monate von Oktober bis April, wenn es draußen feucht und kalt ist“, antwortet Germaine auf die Frage, ob sich ihre Psoriasis zu bestimmten Jahreszeiten meldet. Sie teilt damit die Erfahrungen vieler Patienten, deren Haut sich in den kalten Monaten besonders bemerkbar macht und denen vor allem Licht guttut. „Der Sommer hat aber seine eigenen Tücken. Vor allem, wenn es so heiß ist wie in diesem Jahr. Die Krankheit macht alles schwerer, was sonst leicht ist. Gerade als Frau. Schwimmengehen kostet Überwindung, Beinerasieren tut weh – all das verliert irgendwie seine Leichtigkeit“, erzählt Germaine.
#3 GERMAINES TIPP Wellness
„Wenn ihr Euch mal was gönnen wollt: Es gibt spezielle Meersalze, die als Badezusatz wahre Wunder wirken. Erkundigt euch nach Badetherapien für Psoriatiker. Kokosnussöl ist auch sehr gut, um meine Haut zu pflegen. Manche Kosmetika reizen die Haut sehr stark, vor allem, wenn viel Chemie drin ist.“
Beim Babyschwimmen sollte Germaine raus
Wie so viele andere Menschen mit Psoriasis hat auch sie Vorurteile und Ausgrenzung erlebt. Beim Babyschwimmen mit ihrem kleinen Sohn wurde Germaine von der Kursleiterin gebeten, doch bitte das Becken zu verlassen. Sie befürchtete, dass die anderen Kinder mit dem „Ausschlag“ angesteckt werden. Entmutigen lassen will sich Germaine von solchen Erfahrungen nicht. „Klar, das passiert. Dass Menschen mich beim Einkaufen anglotzen oder im Restaurant abweisend sind. Aber es gibt auch ganz viele andere Beispiele. Wenn jemand auf mich zukommt und mich einfach fragt, was ich da habe und ob es mir gut geht.“ Früher, erzählt Germaine, haben sie solche Erfahrungen von Entfremdung und Stigmatisierung noch stärker beschäftigt. Und sie auch dazu gebracht, sich zurückzuziehen. „Heute habe ich so viel Rückhalt von Freunden und Kollegen. Das tut sehr gut“, sagt sie.
Rückhalt, den jeder spürt, der die junge Mutter kennenlernt. Denn sie ist keine, die sich versteckt. Nicht im privaten Umfeld, nicht im Job als Kundenberaterin und genauso wenig im Internet. Wer ihr Instagram @germaine__ entdeckt, lernt eine Frau kennen, die mitten im Leben steht. Die keine Angst davor hat, sich selbst und Bilder aus ihrem Leben zu zeigen. „Warum sollte ich mich verstecken?“, fragte sie. Alles gibt Germaine für Klicks und Likes aber nicht preis. Sie lacht: „Natürlich gibt es viele Dinge, die meine Follower nicht von mir sehen oder wissen. Und das bleibt auch so.“
Selfies vom Strand? Ein Befreiungsschlag
Von diesen Followern hat Germaine reichlich. Auf Instagram begleiten sie mittlerweile fast 6.000. Auch ihre Schuppenflechte ist immer wieder Thema. „Das gehört zu mir und meinem Leben dazu, genau wie mein Freund, mein Sohn, unser Hund und der Thermomix.“ Immer wieder erreichen sie über Instagram Fragen zum Umgang mit der Krankheit. Allein ist sie damit nicht. Wer sucht, der findet im Internet eine ganze Bewegung. Junge Menschen mit Psoriasis, die sich unter Hashtags wie #psoriasiswarrior gegenseitig Mut machen. Und sich nicht verstecken. Selfies vom Strand mit Sonne, Sommer und fleckiger Haut? Für die Generation Instagram kein Tabu mehr. „Zum Glück nicht“, meint Germaine. Die Idee, sich nicht weiter zu verstecken, sondern ganz bewusst die Öffentlichkeit zu suchen, erfordert Mut, schafft aber auch Bestätigung und ein gutes Gefühl. Denn für viele Menschen wie Germaine sind positive Reaktionen aus dem Umfeld wie Balsam. Sie wirken unmittelbar auf Psyche und Seele – und auf die Hauterscheinungen. Wertschätzung und Bestärkung gehen wortwörtlich unter die Haut.
#4 GERMAINES TIPP Geduld
„Bis der Körper auf eine bestimmte Therapie eingestellt ist, kann es dauern. Habt Geduld. Auch ein gewisses Maß an Nebenwirkungen ist normal. Traut euch, sprecht lieber einmal mehr mit dem Arzt als abzubrechen.“
#psoriasiswarrior – selbstbewusst gegen Vorurteile
Ihren Einfluss im Netz will Germaine künftig noch mehr nutzen, um Psoriasis sichtbarer zu machen oder anderen Tipps zu geben. Oft sind diese sehr gefragt. Die Behandlung von Schuppenflechte ist etwas sehr Individuelles, für das es Zeit, Geduld und einiges an Energie braucht. Auch sie hatte mit der systemischen, medikamentösen Therapie immer wieder Probleme. „Vor allem, wenn die Nebenwirkungen so reingeknallt haben“, erinnert sich Germaine an ihren letzten schweren Schub im April. Hitzewallungen, starke Hautreaktionen, Schwindel, Erbrechen – das volle Programm. „Da ist dann Durchhalten angesagt. Mit der Zeit wird die Haut ja dann auch besser. Ich nehme aktuell fünf Tabletten am Tag und kann mir einteilen, ob alle auf einmal oder verteilt. Ich denke, da muss jeder mit seinem Hautarzt schauen, was gut funktioniert und was nicht.“
„Man muss leben!“
Und während sie weiter Umzugskisten arrangiert und in Formation schiebt, erzählt sie von dem Kreislauf, den so viele Patienten durchlaufen: bemerken, verdrängen, eincremen, verdecken, behandeln. Vom Ausschlag über Linderung zum Rückschlag, über neuen Mut zum Start neuer Therapien. Den Mut zu verlieren oder sich von der Krankheit herumschubsen zu lassen, kommt für Germaine nicht infrage „Man muss leben. Mal einen Döner essen, mal eine Zigarette rauchen, mal was trinken gehen“, sagt sie. Das sind ihre kleinen Auszeiten in einem Kampf, den in Deutschland täglich 2.000.000 Menschen führen.
#5 GERMAINES TIPP Leben
„Bloß nicht aufhören, zu leben! Lasst euch von der Psoriasis nicht euer Glück und eure Freiheit nehmen. Man kann sich nicht immer an alle Regeln halten. Macht, was euch guttut, aber schaut auch hin, wenn euch etwas schadet. Nur Mut!“