#1 Florians Tipps: „Offen mit der Pso auf Menschen zugehen, das hilft und macht stark. Es bedeutet aber auch, nicht jeden doofen Blick und dummen Spruch zu ernst zu nehmen.“
Zu Wasser hat Florian Ingenillem ein besonderes Verhältnis: Das Element hat ihn bedroht, gestärkt, verstoßen, hat ihm geholfen. Als Kleinkind wäre er beinahe in einem reißenden Fluss ertrunken. Mit elf Jahren ist er als Brustschwimmer ein Ass. Mit 15 muss er den Sport aufgeben, weil eine schwere Plaque- Psoriasis den Körper belastet. Heute taucht er wieder ein, zieht kraftvoll Bahnen, genießt das schwerelose Gefühl beim Gleiten durchs Wasser – denn seine Haut ist ohne Schuppen.
Wie es heute ist
„Schwimmen ist wie Tanzen oder Fliegen“, meint Florian und drückt die Brille fest. Am Arm prangt ein blaugrünes Drachen-Tattoo mit dem chinesischen Schriftzeichen für Freundschaft. „Drachen seien mächtig und könnten überallhin“, ruft der 30-Jährige und springt ins Becken. Mit seinem Partner wohnt Florian in der Nähe des Travebads in Bad Oldesloe. Seit einem Jahr leben die beiden in der Kreisstadt zwischen Hamburg und Ostsee. „Ich fühle mich hier pudelwohl“, sagt der fast 1,90 Meter große Hüne, streicht Tropfen aus dem Gesicht und lächelt.
Die Arbeit im Waldorf-Kindergarten, der feste Freund, die norddeutsche Heimat: Im Moment stimmt alles für den gelernten Erzieher. Was ihn seit der Pubertät immer wieder verfolgt, ist nicht weg, sondern nur noch Teil des Lebens. „Die Pso hat mich viele Jahre total fertig gemacht“, sagt Florian, doch seine blauen Augen spiegeln weder Schmerz noch Frust, sondern Kraft und Freude. Ganz offen plaudert er. Die schlimme Zeit wird ausgebreitet wie ein cooler Reiseführer.
#2 Florians Tipps: „Es ist normal, dass die Gedanken um die Krankheit kreisen. Aber die ist gar nicht so schlimm. Verliert man die Angst durch Aktion und Wissen, entsteht Freiraum für andere Gefühle.“
Was total runterzog
Keiner erzählte ihm, woher die Krankheit kommt. Keiner erklärte ihm, wie sie richtig angepackt wird. Dabei waren 90 Prozent des Körpers betroffen. Auf Kopf, Rücken, Beine kommt Creme. Stutenmilch wird getestet, weil die Inhaltsstoffe helfen sollen. Er schluckt homöopathische Globuli und nimmt Tabletten. Nichts wirkt. Das schöne Gesicht und der große Körper verschwinden hinter langen Haaren, Mütze und Klamotten. Die Psoriasis soll nur noch abhauen. Eine Beziehung ist undenkbar. Denn die Krankheit hat das Kommando übernommen.
Der Stress lässt die Schuppenflechte blühen. Florian schottet sich immer mehr ab. Die Familie unterstützt liebevoll, doch der örtliche Hautarzt hat keine Antworten für ihn. Florian kann nicht mehr, er will nicht mehr und fängt an, selbst in Büchern und im Web zu forschen. Erst ein neuer Dermatologe bringt die Wende. „Der Arzt hat sich Zeit genommen, die richtigen Fragen gestellt und mir verschiedene Therapien aufgezeigt.“ Vor allem habe der Spezialist ihm Mut gemacht, auf andere Betroffene zuzugehen. Für den introvertierten Mann ein Sprung ins Eiswasser. 2010 fährt Florian Ingenillem das erste Mal ins Jugendcamp des Deutschen Psoriasis Bundes. Da hat er gerade seine Ausbildung als Erzieher gestartet. Das Event haut ihn um. Schuppen an Intimstellen, Mobbing Attacken, Selbstmordgedanken: nichts ist in der Gruppe, im Gespräch mit den anderen tabu.
Wie es aufwärts geht
Tief beeindruckt ist Florian von der positiven Denke einiger Leute. Die beste Therapie fordern, sich nicht zufrieden geben, jeden Tag genießen, den Schmerz rausbrüllen – wer das versteht, den kann Psoriasis nicht runterziehen. Die Sätze graben sich ein. Gefühle unterdrücken macht erst richtig krank, erkennt Florian. Zwölf Monate später ist er wieder beim Jugendcamp; und den Sommer danach auch. Jetzt sagt er selbstsicher: Ich nehme die Krankheit an! Ein Biologikum sorgt endlich dafür, dass auf seiner Haut nichts mehr zu sehen ist.
Elegant hebt sich Florian aus dem Schwimmbecken, zeigt Rücken. Keine Plaques, nichts gerötet. Eine Gruppe Aqua-Jogger läuft vorbei. Ein paar Augen flirten. „Früher war ich in mir gefangen. Das ist heute anders“, erklärt Florian und berichtet von seiner Arbeit als Jugendbotschaft er beim Psoriasisbund. Als Mentor bei den Camps will er etwas zurückgeben, kann Vorbild sein und Tipps vermitteln, an denen er jahrelang geknobelt hat. Selbst schuld, gibt es nicht. Schneckenhaus, raus da. Flecken, lassen sich behandeln. Akzeptanz, ungeheuer wichtig. Vor allem junge Männer seien oft verschlossen und würden ungern über Probleme reden. „Typisch sind kurze Sätze, ohne viele Gefühle. Sich austauschen verwirrt Männer, und sie glauben nicht, dass es hilft.“
#3 Florians Tipps: „Sicher ist sicher – wenn ich meine Spritze vergesse, erinnert mich mein Freund.“
Was sich erreichen lässt
Dabei ist schweigen völlig verkehrt. „Das gilt für den Arztbesuch, die Familie, den Partner“, zählt Florian auf. Jannik, der für die Kreisverwaltung Stormarn in Bad Oldesloe arbeitet, nickt. Seit fast vier Jahren sind die beiden ein Paar. In der Schlosskirche Ahrensburg wird bald geheiratet. Am Anfang haben sie lange über Psoriasis diskutiert. „Das war für ihn unangenehmer als für mich, weil ja er betroffen ist“, erinnert sich Jannik. Was fühlst du, wenn die Hand über den Kopf streichelt, auf dem die Schuppenflechte so lange festsaß? Was passiert, wenn Stress im Job ärgert? Wie wichtig ist es, zu schwimmen?
Die Freunde klauten der Krankheit einfach Raum und beide gewannen so Freiheit. Machen, worauf man Lust hat. Das Credo steht ungeschrieben fett rot an der Wand. Florian spritzt sein Medikament, ein Biologikum, gerne alleine. Dafür hat Jannik die Termine im Blick. Perfekte Partnerschaft. Perfekte Compliance – so nennt der Arzt es, wenn man regelmäßig und immer zum richtigen Zeitpunkt sein Medikament nimmt, damit es auch gut und lange wirken kann.
Ansonsten dreht sich alles um den Alltag und schöne Dinge: die nächste Wanderung, den wöchentlichen Tanzabend, den Einkauf im Bioladen, das Essen beim Lieblingsitaliener. Kein Schmerz schwingt mehr mit, wenn Florian heute sagt: „Wir lassen uns den Spaß am Leben nicht nehmen.“ Den Grund tief unter sich, den Himmel über sich – Florian scheint durchs Wasser zu fliegen wie ein Vogel am Himmel.