Ein Baby schreit direkt neben ihr im Café. Inken blinzelt zur Mutter, die den Knirps aus dem Buggy hebt. „Ich möchte auch gerne Kinder“, sagt die 26- Jährige. Mit drei Jahren erkrankte die Hamburgerin an Schuppenflechte. Heute ist sie fast erscheinungsfrei und voller Vorfreude auf das Leben – mit Kind und Kegel.
Sachte durchkämmt Inken ihre langen, blonden Haare mit den Händen. Gerade erst hat sie ein Badminton-Match mit ihrem Freund Björn beendet. Wie immer war es knapp. „Verlieren können wir beide nicht so gut“, sagen sie fast entschuldigend. Statt Shorts und weiß-rot gestreiftem T-Shirt trägt Inken nun eine cremeweiße Bluse und schwarze Leggins. Ruhig, selbstbewusst sitzt sie da.
Björn schaut seine Freundin an. Liebevoll und neugierig. Wie war das früher wirklich? Wie war die Kindheit? Inken berichtet, offen und klar, als ob es gestern passiert wäre. Im Sommer am Strand buddeln. „Ich wollte mich nie zeigen.“ Zum Spielen verabreden. „‚Ist das ansteckend?‘, wurde ich immer wieder gefragt.“ Ins Schwimmbad gehen? „Sind wir nicht oft gewesen.“
Verständnis
Bikini-Fotos in alten Alben – Fehlanzeige. Schnappschüsse mit Kleidchen. Unmöglich. Eine Kindheit ohne gezeigte Haut, eine Biografie ohne Belege. „Das bringt mich manchmal schon zum Nachdenken. Doch das Hier und Jetzt zählt“, sagt Inken und grinst. Während sie in die Vergangenheit eintaucht, signalisieren ihre Augen: Bedauern, das hilft nicht.
Vater Hartmut ist groß und stark. Er hört zu und erklärt geduldig. Streicht Salbe auf Gesicht, Rücken, Arme und Beine. Auch er hat Psoriasis. „Wir sahen uns sehr ähnlich. Und wir hatten beide Schuppen. Er hat mir total viel Sicherheit gegeben“, erinnert sich Inken. Festhalten, sichern, auffangen – das Familiennetz ist für das kleine Mädchen so wichtig.
Seelennähe
Über Gefühle redet Inken mit der drei Jahre älteren Kaiken. Zwei friesische, eigenwillige Vornamen, ein Schwesternpaar, das sich blind vertraut. „Ich werde Ärztin und finde ein Mittel, das dich heilt“, verspricht Kaiken in der Kindheit unter der Bettdecke. Die Seelennähe lässt sich die Jüngere später als Tattoo – einem Schnörkel aus den Buchstaben I und K – am Knöchel stechen. Für die Zweifler. Für alle sichtbar. Für immer.
Inken verändert sich und bleibt doch ihrem Weg treu. Make-up – keinen Bock. Mobbing auf dem Gymnasium – gegenhalten. Mit 14 Jahren steht der erste feste Freund auf der Matte. Sie will möglichst keine Schwächen zulassen. Jeder kriegt das zu spüren. „Ich saß überall zwischen den Stühlen. Es war wirklich nicht einfach mit mir in dieser Zeit“, sagt Inken und erzählt, dass sie damals ziemlich zornig Fußball gespielt habe.
Ausbruch
Antworten müssen her: Wer bin ich, was kann ich, wohin will ich? Das Abi geht daneben, mit 18 zieht Inken zu Hause aus und beginnt eine Lehre. Sie will alles selber machen, liest im Web so viel wie möglich über Schuppenflechte – und stößt auf das Jugendcamp des Deutschen Psoriasis Bundes. Das Wochenende dort verändert viel.
Inken trifft Teilnehmer mit ähnlichen Problemen und Geschichten. Vor allem trifft sie Leute, die Träume haben. Es geht um Freiheit, um Therapien und Berührungen. Sie wird gefragt: Was macht dich froh und bringt dir Kraft? Inken vertraut sich im Camp einem Psychologen an, löchert einen Dermatologen von der Uni-Hautklinik in Kiel: „Ich wollte kein Spielball mehr sein, sondern mein Leben selbst in die Hand nehmen.“ Du kannst es ändern, habe sie sich gesagt.
#1 INKENS TIPP
„Leute ansprechen, die in einem ähnlichen Alter sind und ähnliche Probleme haben, ist ganz wichtig. Das geht über Social-Media-Kanäle oder persönlich. Ich habe von anderen gelernt, die Krankheit anzunehmen, sie als Teil von mir zu akzeptieren.“
Ideen
Die Entscheidung steht! Nach Jahren verlässt sie ihren alten Hautarzt und fährt in eine Spezialambulanz. „Die haben sich unheimlich viel Zeit genommen und gleich mehrere Behandlungsoptionen genannt. Das hat mich total überrascht“, sagt Inken. Kein Standard mehr. Stattdessen neue Ideen, neue Ansätze. Und Patient und Arzt haben das gleiche Ziel: möglichst schnelle Besserung. Das kommt ihr wie Magie vor.
Inken erhält ein Biologikum. Sie isst gesund, geht häufig joggen, fängt mit Badminton an. Schon nach kurzer Zeit kommen keine Schübe mehr. An der Dosierung wird mit einem niedergelassenen Facharzt gefeilt. Schnell gehen die Psoriasis-Symptome zurück. Nur auf der Kopfhaut zeigen sich noch manchmal rote, schuppige Stellen.
#2 INKENS TIPP
„Wer das Gefühl hat, in einer Sackgasse zu stecken, muss da raus. Es geht darum, selber aktiv zu werden. Das kann bedeuten, den Arzt zu wechseln, neue Therapien zu testen oder die Lebensweise umzustellen. Wer sich selber hilft, wird selbstbewusst.“
Partnerschaft
Björn Kirsch bemerkt die Krankheit nicht, als er Inken bei einem Badmintonspiel das erste Mal sieht. Blickkontakt. Dem gelernten Kaufmann gefällt ihr Wille, ihre harte Vorhand, ihr Lachen. Auch sie fühlt sich von dem großen, drahtigen Kerl mit den braunen Haaren angezogen. Inken sucht sein Profil auf Facebook, stellt Bilder von sich mit Schuppenflechte ein und hofft auf eine Reaktion. Doch es hat längst gefunkt.
Seit sechs Jahren sind die beiden ein Paar. Haben beide noch ein Studium angefangen, kämpfen in einem Badminton-Team in der Hamburger Verbandsliga um Punkte und leben in einem Mehrgenerationenhaus mit Björns Eltern. Zum Jugendcamp des Psoriasis Bundes zieht es Inken regelmäßig. Sie wird dort Mentorin, eine Art Lehrerin, da sie so viel über die Krankheit weiß und keine Scheu hat, darüber zu reden. Und profitiert doch jedes Mal selber, denn der „Austausch gibt unheimlich viel Kraft“.
Träume
Weil Inken und Björn ihr Leben so leben, wie sie es möchten, entsteht immer mehr Raum für Pläne. Fernurlaub etwa: Malaysia, Vietnam, Singapur sind abgehakt. Im letzten Winter ging es per Schiff durch Südostasien. „Japan“, verraten sie, „davon träumen wir.“ Und von einem Kind. Auch alle in der Familie würden sich über Nachwuchs freuen. Die Welt erkunden. Zukunft entdecken. Gute Idee.
Für Inken ist die Zukunft ganz eng verknüpft mit ihrem Körper. Seit ihre Haut nicht mehr so stark betroffen ist, fühlt sie sich sicherer, freier, attraktiver. Das neue Leben ist da. Das Baby kann kommen.
#3 INKENS TIPP
„So viel Wissen zur Krankheit sammeln wie möglich, das hat mir total geholfen. Wer aufgeklärt ist, versteht besser, was im Körper passiert, wie eine Therapie wirkt und warum bestimmte Nebenwirkungen auftreten. Wissen ist wie ein Schutz.“