PSOUL: Herr Kuske, das Phänomen der Selbststigmatisierung lässt sich sinngemäß wie folgt wiedergeben: Menschen grenzen sich selbst aus, weil sie davon ausgehen, ausgegrenzt zu werden. Klingt fast nach „selbst schuld“, oder?
MATTHIAS KUSKE: Kein Stück. Als Betroffene übernehmen wir oft die negativen Zuschreibungen unserer Umwelt. Sich selbst vor Schmerz- und Traumaerfahrungen zu schützen, ist ein Schutzreflex. Ihn zu haben, ist richtig und auch wichtig. Wir sind nicht jeder Situation immer auch gewachsen.
PSOUL: Aber er bewirkt doch etwas Schlechtes – wie Vereinsamung und Rückzug.
MATTHIAS KUSKE: Selbststigmatisierung ist erst mal eine Art geistiges Gefängnis aus gesellschaftlichen Moralvorstellungen, das sich die Betroffenen oft selbst bauen, ohne es zu wissen. Wichtig ist, sich darüber bewusst zu werden, warum ich mich mit meinem „Verschiedensein“ selbst nicht akzeptiere und mich deswegen zurückziehe. Dann kann ich aktiv werden und etwas gegen diese negativen Gefühle tun.
PSOUL: Sie empfehlen also: „dranbleiben“.
MATTHIAS KUSKE: Ich empfehle, auf sich selbst, seine Gedanken und die eigenen Gefühle zu achten. Selbststigmatisierung führt häufig zu einem Dreiklang an negativen Reaktionen: verbergen, verhindern, verschanzen. Das Verschanzen passiert, wenn der Leidensdruck zu groß wird: Die Menschen entwickeln eine Angst rauszugehen und meiden sehr stark menschlichen Kontakt.
PSOUL: Ist das Menschen, die an Stigmatisierung leiden, wirklich bewusst?
MATTHIAS KUSKE: Das ist schwer zu sagen. Nur bei einer Handvoll Gedanken und Gefühlen, die wir jeden Tag haben, wissen wir, wo sie herkommen. Deswegen ist es hier umso wichtiger, sich selbst zuzuhören und den Austausch mit anderen zu suchen, denen man vertraut. Ich denke, deswegen sind Mobilisierung und die Stärkung des eigenen Selbstwerts so wichtig: Mut zu finden, sich mit sich selbst und seiner Erkrankung wirklich zu beschäftigen.