Die Augen sind zugekniffen, der Mund lächelt. Mit den Händen an den Bremsen und leicht zurückgebeugtem Oberkörper fliegt Kevin Markmann den Trail entlang. Sein knallrotes Shirt glänzt in der Sonne und tupft Farbe in den Märzwald, in dem noch nicht viel blüht. Arme, Beine und Mountainbike federn die Hubbel des Hangs vor dem coolen Bremsmanöver ab. „Yeah“, murmelt Kevin leise. Dabei wäre eigentlich Schreien und Jubeln angebracht. Zum ersten Mal seit 15 Jahren beginnt ein Frühling ohne Angst, ohne Schmerzen, ohne Schuppenflechte auf der Haut. „Alles hat sich für mich verändert“, erzählt der 32-Jährige, der in Schalksmühle aufgewachsen ist. Die kleine Gemeinde liegt im Nordwesten des Sauerlandes. Ganz in der Nähe lebt Kevin noch immer. Weil er mit Familie, Frau, Job und Freunden verwurzelt ist in der Region, die auch Land der 1.000 Berge genannt wird. Wirklich bergig ist es zwar nicht, wo Kevin wohnt. Sanft wellen sich Weiden und Tannenhaine ein paar Hundert Meter hoch. Klasse wandern und moutainbiken lässt es sich trotzdem. Wann immer es geht, powert Kevin sich in der Natur aus. Bislang war das eher Frustbewältigung und der Kampf gegen die eigene Haut, die sich regelmäßig und heftig rötete, schuppte und juckte.
Der Schock
Als sich die Krankheit heranschleicht, ist Kevin 17 Jahre alt. Anfangs bemerkt er nur ein, zwei kleine Stellen. Doch immer mehr silbrigweiße Schuppen tauchen auf. Sie wachsen unter den Augen, bilden Flatschen hinter den Ohren, ziehen sich über die Kopfhaut, den Oberkörper und den Genitalbereich. In der nahen Glörtalsperre schwimmen, beim Sport oben ohne Hulk Hogan imitieren, in die Sauna gehen, das traut sich der große, junge Mann mit den samtbraunen Augen und den lässig zur Seite fallenden, tiefschwarzen Haaren nun nicht mehr.
„Ich habe mich so geschämt“, sagt Kevin, der glaubt, dass sich das Hautproblem irgendwie gibt. Tut es nicht. Stattdessen stellt ein Dermatologe Psoriasis fest. Mit Kortisonsalbe und dem Hinweis, dass man so eine Krankheit angeblich nicht in den Griff kriegen könne, wird Kevin wieder nach Hause geschickt. Der Schock sitzt. Auf „oberflächliche Ärzte ohne Interesse“ und eine „Wischiwaschi-Behandlung“, die nichts wirklich bringt, hat Kevin aber keinen Bock. Er versucht daraufhin, die Krankheit auszublenden. Nur mit der Mutter und dem Stiefvater spricht er über seine Furcht, dass die Schuppen wohl nie weggehen werden. Nach der Fachhochschulreife folgt eine Ausbildung zum Systemelektroniker. Kevin ist spezialisiert auf Telefon-Anlagen und bildet sich zum Software-Entwickler fort. Er liebt Technik und fährt fette Motorräder. In IT reinfuchsen, lässig durch schöne Landschaften knattern und gerne mit alten Freunden feiern, so lässt es sich doch leben. Wenn nur die Pso nicht wie ein Dämon wüten würde – unerbittlich kommen die Schübe. Das lässt sich nicht so einfach wegschieben.
Ständige Qual
Ein neuer Dermatologe, den ein Bekannter empfiehlt, wird konsultiert. Der will drei Mal in der Woche zweieinhalb Stunden vormittags UV-Licht verschreiben. Mindestens drei Monate soll die Bestrahlung dauern. Die Behandlung dürfte die Symptome der Schuppenflechte lindern, aber komplett weggehen würde sie nicht, erklärt der Arzt. Wieder eine bittere Enttäuschung. Kevin kann und will nicht so lange aus dem Job raus. Vor allem will er der Krankheit keinen Raum geben. „Ich will meinen Tag bestimmen“, so denkt Kevin, der behauptet, kein typisch „Sauerländer Sturkopf “ zu sein, aber die Tugend der gesunden Kompromisslosigkeit besitzt. Desillusioniert geht Kevin nun jahrelang gar nicht mehr zum Hautarzt. Das sei ein Fehler gewesen, sagt er heute. So habe er sich medizinischen Innovationen verschlossen und länger mit der Psoriasis gelebt als nötig. Stattdessen federn Strukturen und die Liebe zu Lorena die Probleme mit der Haut ab. Wichtig ist, dass es im Job bei einem Familienunternehmen nicht weit vom Wohnort ohne Stress abläuft. Je weniger psychische Last, das weiß Kevin, desto weniger Plaque. Mit seiner Frau geht es zudem ständig raus zum Wandern und Biken. Ruhe, Sport und Natur tun den Sinneszellen in der Haut gut. Auch darauf lässt sich bauen. Doch die Pso schlägt heimtückisch zurück.
Der Horrortrip
Es passiert auf Sansibar. Die Insel vor der Küste Ostafrikas bezaubert mit weißen Stränden, Korallenriffs und Gewürzplantagen, die den Duft von Vanille, Nelken und Zimt verströmen. Davon bekommt Kevin allerdings nur wenig mit. Der Körper schmerzt und juckt extrem. Jeder Elan fehlt. Ein heftiger Pso-Schub streckt ihn nieder. Überall auf der Haut kommen Pusteln. Der Horror im Liebesurlaub mit Lorena. „Ich war fix und fertig. Wir haben uns riesig auf Sansibar gefreut und ich falle aus. Da habe ich mir geschworen, so geht es nicht weiter“, erinnert sich Kevin.
Wieder zurück im Sauerland soll es zum Arzt gehen. Er hört von Dr. Ilona Dlugosz-Wolf und neuen, hochwirksamen Medikamenten. Besteht noch Hoffnung? Die Dermatologin hat ihre Praxis am Rathausplatz in Lüdenscheid, wo Kevin arbeitet. Im Warteraum stehen ein paar Stühle. Die kleine Empfangstheke ist in warmen Gelb- sowie Goldtönen gehalten und an den Wänden hängen Drucke des österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser, die aufrufen, Wale und Meere zu retten. „Mir war beim ersten Besuch klar, in welchen Schwierigkeiten der Junge steckt“, sagt Dlugosz-Wolf: „Der Pso-Schweregrad war hoch und der DLQI-Index, mit dem man die Einschränkung der Lebensqualität von Menschen mit Schuppenflechte misst, zeigte eine erhebliche Beeinflussung von Psyche und Lebensqualität. Ganz wichtig ist es für mich auch, gerade bei jungen Leuten Spätfolgen wie Bluthochdruck oder Diabetes zu bekämpfen. Und das heißt eine möglichst frühe Therapie.“ Kevin ist überrascht, wie ernst diese Ärztin ihn nimmt.
Wieder Zuversicht
Gemeinsam werden Behandlungsziele und Therapieplan abgesprochen. Der funktioniert in Stufen: Noch einmal kommt Kortisonsalbe zum Einsatz. Das reicht aber nicht. Dann werden Fumarsäureester getestet, aber von den Tabletten wird Kevin ständig schlecht. Nach drei Monaten wird die Substanz abgesetzt. Dann rät Dlugosz-Wolf zu Biologika. Die modernen Medikamente sollen schwere Psoriasis komplett abheilen lassen und gut verträglich sein, erzählt die Ärztin Kevin und grinst verschmitzt bei der Erinnerung: „Das hat er mir einfach nicht geglaubt.“ Zu viele Dämpfer hat er einstecken müssen, zu hartnäckig ist die Psoriasis immer wieder zurückgekommen, zu wenig sind Ärzte bislang auf seinen Fall eingegangen. Die ersten Injektionen gibt es Mitte 2020 in der Praxis. Und was dann passiert, haut den Skeptiker um: Schon nach vier Wochen seien die befallenen Hautstellen heller geworden und hätten weder geschuppt noch gejuckt. Nach knapp drei Monaten sei die Pso so gut wie weg gewesen. Das bringt den Risikofreak, der sich jeden Hügel mit seinem Mountainbike herunterstürzt und das Biologika mittlerweile selbst zu Hause spritzt, vollends aus der Fassung. Tränen fließen. Zu Hause. Minutenlang. Davon zu erzählen, sei wichtig und völlig okay, sagt Kevin. Weil er erscheinungsfrei ist und weil er sich super fühlt.
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