Als Sören Gabler an einem schönen Mainachmittag die Instagram-Message rausschickt, ahnt er nicht, was der Post bewirkt: Dass er nur ein paar Monate später über die dunkelste Zeit seines Lebens plaudern kann, ihn im Studium keine Versagensangst mehr packt und er ziemlich klar sieht, was er in Zukunft macht. „Eine Bar oder einen Club aufmachen, einen coolen Treffpunkt für Menschen eben, das will ich“, sagt der 25-Jährige und strafft schmunzelnd die breiten Schultern, als ob er seinen Traum nur noch aufschließen muss. Wahrscheinlich würde Sören dann bei der Eröffnung auch allen die Geschichte vom Psoriasis-Outing auf dem Sozialen Netzwerk erzählen, das den Start in ein neues Leben öffentlich möglich machte – aber jetzt erstmal von Anfang an.
Plötzlich tauchen rote Flecken auf
Die Krankheit trifft den Jungen aus dem thüringischen Gera 2015 völlig unvorbereitet. Abi, Umzug und Startsemester an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig sind geschafft. Er genießt die Unabhängigkeit, den Charme der Großstadt, geht oft in Kinos und feiert gerne. Gut sieht er aus mit den braunen, lockigen Haaren, den schmalen Augenbrauen und vollen Lippen. Weil er offen ist, organisieren kann und mit seinem thüringisch-sächsischen „mach disch ma loggor“-Humor zum Lächeln bringt, ist er überall gerne gesehen. Doch mitten in der ersten Prüfungsphase tauchen plötzlich großflächig rote Flecken an Armen, Händen und Beinen auf. Tagelang kratzt sich Sören wund, er traut sich kaum noch raus und schläft von Unruhe getrieben wenig.
„Ich hatte keine Ahnung, was mit mir passiert ist“, nuschelt Sören und ballt die Fäuste, als ob er so die Erinnerung weghauen könnte. Denn als er sich Hilfe bei Hautärzten holen will, hört er nur immer wieder: Das sei Schuppenflechte und nicht heilbar. Keiner erklärt, keiner hinterfragt, keiner kommt auf eine andere Idee, als mit Kortison und Salben zu therapieren. Die Cremes wirken aber nur kurz und hinterlassen Spuren auf den schwarzen T-Shirts und Kapuzenpullis, die zu Sören gehören wie seine Sneaker und sein Käppi. Nun fallen aber nicht mehr der lässige Typ, sondern Schuppen, Unsicherheit und Salbenflecken auf.
Jeder Tag ist ein Kampf
„Verzieh dich, du bist ansteckend“, bekommt Sören beim Strandurlaub auf der Insel Fehmarn zu hören. Bei einem Date giftet ein Mädel, „was hast du denn da, damit will ich nichts zu tun haben“. Ob er Hautkrebs habe?, fragen einige. Die Sprüche beleidigen Sören und vor allem schmerzen sie. „Ich habe mich hilflos gefühlt und daher verschiedene Dermatologen aufgesucht, doch keiner konnte mir helfen“, sagt er. Das war 2016. Fast auf den Tag genau kennt er seine Krankengeschichte, weil es nur noch das eine gab: Schuppenflechte. Sie schließt den lebensfrohen Menschen wie in einen Käfig ein. Der Traum vom lässigen Studentenleben schlägt in Depressionen um. Oft kommt Sören wochenlang nicht mehr aus dem Bett. Er sieht Serienmarathons und keine Vorlesungen. Statt Frischkost gibt es Pizza. Und den Flirttalk in der Mensa ersetzen die Synchronstimmen von „Call of Duty“.
In dem PC-Kriegsspiel ist er der Starke, der Elitesoldat. Weil er so heftig zockt, schrottet er ständig den Controller. Die Flucht ins Gaming wird zur Sucht. „Hätte ich Familie und Clique nicht gehabt, ich hätte da wohl nicht mehr rausgefunden“, erzählt Sören. Fast täglich telefoniert er mit Mutter Heide, mit der Oma oder Vater Heiko, sie sprechen über Traurigkeit und Ängste, über Stärken und Mut. Regelmäßig kommen auch Freundinnen und Freunde aus Gera vorbei, die Sören schon lange kennt. „Wir haben viel geredet. Aber oft sind wir auch raus aus der Bude, um – trotz allem – einfach eine gute Zeit zu haben“, sagt Kumpel Kevin, den alle Schnippsl nennen.
Eine Therapie führt aus dem Sumpf
Sören fühlt sich in Leipzig immer mehr wie in einer Sackgasse. Er hatte irgendwann mehrere Semester des Studiums verpasst und hielt eigentlich nur noch Kontakte zu seinen Freunden*innen von früher. 2018 wechselt er daher die Stadt. Fängt neu an der Hochschule im bayerischen Hof an, das nur eine Stunde Fahrt von Gera an der Grenze zu Thüringen und Sachsen liegt. Der Aufbruch tut gut. Er kann wieder besser lernen, arbeitet nebenher als Verkäufer von Klamotten und organisiert Studentenpartys, auf „denen Hunderte Leute abgerockt haben“, erzählt Sören mit leisem Stolz. Und er gibt nicht auf bei der Arztsuche. Endlich findet er einen neuen Dermatologen, der sich Zeit nimmt und über moderne Behandlungen informiert. Immer wieder sind seine Arme und Beine rundum dicht besetzt mit Plaques. Schon bei den ersten Anzeichen schämt sich Sören und fällt in ein dunkles emotionales Loch. Der Arzt erkennt die Not und verschreibt ein Biologikum, das selbst injiziert werden kann. Es ist Ende 2019 und innerhalb weniger Wochen ist Sören fast frei von Hautbeschwerden und sehr dankbar.
„Ich war wie neu geboren“, schwärmt er, der nun locker die Bachelorarbeit schreibt und die Zulassung zum Masterstudium in Chemnitz bekommt. Er will später eng mit Menschen arbeiten und spezialisiert sich deshalb auf das Management von Kundenbeziehungen. „Ich habe erlebt, wie viele oberflächlich denken und jene verletzen, die anders sind. Ich habe aber auch erlebt, wie wichtig gute soziale Beziehungen bei der Bewältigung von Krisen sind. Diese Erfahrungen werden mir später im Job nutzen“, meint Sören und wischt Schminke am Hals weg. Das Faschingsfest mit Freunden*innen, auf dem Schnippsl und er am Abend als Pantomime-Figuren in Schwarz-Weiß aufgetaucht sind, sei super gewesen.
Einfach weiterleben, das geht nicht
Sören legt die Füße auf die große Couch (ein Oma-Geschenk) in seiner Chemnitzer Wohnung und lehnt sich zurück. Es ist kalt und windig an diesem Tag. Wie immer zu Hause ist er auf Socken und trägt T-Shirt. Damit jeder sehen kann, dass da nichts mehr ist? Aus einem XXL-Becher schlürft er Cappuccino und erzählt, wie es zum Outing kam. Mit dem Biologikum sei es ihm ja ganz plötzlich gut gegangen, die Haut wurde sehr gut. Doch jetzt einfach nur wie gewohnt weitermachen, habe er nicht gekonnt. Die Zeit, in der er nicht richtig therapiert und depressiv wurde, habe tiefe Narben hinterlassen. Über die Krankheit und was sie mit ihm gemacht habe, darüber habe er einfach reden müssen.
Also schreibt er zu einem Instapost von sich, auf dem sein grau-verweintes Gesicht über gekreuzte, mit Schuppenflechte völlig überzogene Arme und Hände lugt, einen langen Text. Darin heißt es: „Jetzt ist verstecken, schämen und Co., um nicht mehr durchgängig angestarrt zu werden und Sprüche abzubekommen, Geschichte.“ Er lasse sich nicht mehr länger verbiegen und erst recht nicht unterkriegen. 1.300 Follower*innen hat Sören auf Instagram. Und die Message kommt bei ihnen an. Viele liken und kommentieren direkt, wie viel Respekt sein ehrlicher Beitrag verdiene. „Es war nicht einfach so offen zu sagen, dass ich unter einer Autoimmunkrankheit leide, die auch psychische Probleme hervorrufen kann“, sagt Sören. Doch die Therapie und die Offenheit würden sich lohnen. Denn seitdem fühle er sich frei.
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